Sie kämpfen für die Ukraine Plünderungen, Machtmissbrauch und Korruption: Das werfen ausländische Soldaten der Internationalen Legion vor

von Christine Leitner
21.08.2022, 20:29 5 Min. Lesezeit

Verschiedene Staats- und Regierungschefs haben ihre Bürger davor gewarnt, sich der Internationalen Legion anzuschließen. Trotzdem sind einige zum Kampf in die Ukraine gereist. Eine Recherche zeigt nun, was sie dort wirklich erwartet. Damien Magrou, Sprecher der Internationalen Legion zum Schutz der Ukraine (LIDU), steht vor verbrannten Militärfahrzeugen in Kiew
© Sergei Supinsky / AFP

Russland dominiert nicht nur wegen seiner Invasion seit Monaten die internationalen Schlagzeilen. Jenseits der politischen Schlagkraft schockieren auch Berichte über russische Truppen und Söldner, die sich an der ukrainischen Bevölkerung vergehen, Frauen vergewaltigen, Männer im Schnellverfahren hinrichten, zivile Einrichtungen angreifen und plündern. Orte wie Kramatorsk oder Butscha sind so international namhaft geworden.

Wie eine investigative Recherche des "Kyiv Independent" nun zeigt, sind die ukrainischen Kämpfer in einiger Hinsicht nicht viel besser. Konkret geht es um die Internationale Legion zum Schutz der Ukraine, die wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf das Land auf Wunsch des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegründet wurde. Per Twitter hatte auch Außenminister Dmytro Kuleba Ende Februar Ausländer dazu aufgerufen, in die Ukraine zu kommen.

Foreigners willing to defend Ukraine and world order as part of the International Legion of Territorial Defense of Ukraine, I invite you to contact foreign diplomatic missions of Ukraine in your respective countries. Together we defeated Hitler, and we will defeat Putin, too. - Dmytro Kuleba (@DmytroKuleba) February 27, 2022

Sie sollten helfen, Putin zu besiegen. Nach eigenen Angaben hat die Legion mittlerweile Kämpfer aus sechs verschiedenen Ländern rekrutiert, darunter aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kroatien, Polen und Dänemark. 16.000 Mann zählte die Legion Medienberichten zufolge Anfang März. Doch die Zahl ist rückläufig, wie nun die Recherche des "Kyiv Independent" ergab.

Plündern statt schützen

"Wir kamen her, um diesen Menschen zu helfen und für dieses Land gegen die Invasion zu kämpfen", zitiert das Blatt einen brasilianischen Legionskämpfer. Doch stattdessen werden die Soldaten unvorbereitet ins Feld gegen den russischen Aggressor geschickt und dazu ermuntert, ukrainische Besitztümer zu plündern. "Wir kamen nicht, um exakt das zu tun, was die Russen tun, wenn sie auf ukrainischem Boden sind", sagt der Brasilianer, der - wie alle anderen Zeugen - anonym auftritt.

Interview
Online-Zeitung Nur wenige Monate vor dem Krieg gründete Olga Rudenko "Kyiv Independent". Heute hat sie Millionen Leser in aller Welt

Die hastig gegründete Legion hatte zuletzt immer wieder für Schlagzeilen gesorgt; unter anderem wegen dubioser Verträge, strenger Aufnahmekriterien oder weil Regierungsvertreter ihre Bürger vor ihr warnten. Jetzt haben sich Soldaten an die ukrainische Presse gewandt. Die Kämpfer werfen den Anführern massiven Machtmissbrauch vor. Auch an die Regierung in Kiew und das ukrainische Parlament haben sie sich mit ihren Beschwerden, die sie in einem 78-seitigen Bericht zusammengetragen haben, gewandt.

Die Internationale Legion besteht aus zwei Flügeln. Betroffen ist der von der Geheimdienstdirektion (GUR) koordinierte Teil, dem 500 Männer unterstehen. Offiziell steht der GUR Major Vadym Popyk vor. Laut dem Bericht haben aber vor allem drei Männer das Sagen. Besonders berüchtigt ist der 60-jährige Major Sasha Kuchynsky.

Er soll sich Sanitäterinnen gegenüber anzüglich und sexuell äußern, jüdische Kämpfer diskriminieren und Soldaten mit Waffen bedrohen, wenn sie nicht gehorchen. Anfang Juni soll er eine Einheit damit beauftragt haben, in ein Einkaufszentrum in Lyschysansk einzubrechen und Möbel und elektronische Geräte mitzunehmen. Zudem erlaubte er den Soldaten alles einzupacken, was ihnen gefiele. Für einige Mitglieder eine unangenehme Angelegenheit: "Anwohner sahen, wie wir die Möbel verladen haben, was mir sehr unangenehm war. Es fühlte sich an, als würden wir sie ausrauben. Ich kam nicht in die Ukraine, um das zu tun", schreibt ein kolumbianischer Soldat in dem Zeugenbericht. Andere hätten den Auftrag dagegen einfach ausgeführt, weil sie es nicht gewohnt seien, die Anforderungen der Vorgesetzten zu hinterfragen. Was am Ende mit dem gestohlenen Gut geschehen ist, weiß niemand so genau. Die geschilderte Plünderungsaktion sei nur eine von vielen gewesen.

Das Spiel mit Menschenleben

Den Berichten zufolge, soll sich Kuchynsky zudem durch einen Waffenhandel bereichern. So soll er Wärmelichtkameras für 300 Dollar an Untergebene verkauft haben. Ähnliches gelte für Waffen und Munition. Diese werden nach der Lieferung nicht an die Soldaten ausgehändigt. "Alles scheint nur eine Vertuschung zu sein. Es ist sehr seltsam. Es fühlt sich an wie ein (organisiertes) Geschäft", sagt ein amerikanischer Soldat.

Internationale Legion Welche Ausländer freiwillig für die Ukraine in den Krieg ziehen wollen - und welche Gefahren das birgt

Wie wenig das Leben der Kämpfer wert ist, zeigt auch ein geschildertes Ereignis aus Donezk. Demnach soll Kuchynsky eine Einheit, die in Luhansk auf Minenräumungsmission war, kurzerhand nach Sievierodonetsk geschickt haben - direkt an die feindliche Linie. Laut einem brasilianischen Soldaten sei die Truppe darauf nicht vorbereitet gewesen, Informationen über die Mission erhielten sie von ihren Vorgesetzten nicht. Das Problem: In der Region hatten sich bereits Soldaten der ukrainischen Armee in einem Haus verschanzt und bereits auf Kämpfer der Legion geschossen, weil sie nicht wussten, dass die Soldaten auf ukrainischer Seite kämpften. Auch die neue Gruppe wurde in das Kreuzfeuer der eigentlichen Freunde geschickt. Im Bericht dies "Kyiv Independent" nennt der brasilianische Soldat seine Vorgesetzten deshalb einen "Haufen Möchtegerne, die mit dem Leben von Menschen spielen". Viele Soldaten hätten nach dieser Mission den Dienst quittiert. Anfragen des "Kyiv Independent" bloggte der Major ab.

Vorgesetzter mit kriminellem Hintergrund

Jenseits der Korruptions- und Machtmissbrauchsvorwürfe ist die Personalie Kutschynsky aus einem weiteren Grund brisant. Wie die Journalisten herausfanden, handelt es sich eigentlich um den in Polen wegen Betrugs gesuchten Piotr Kapuscinski. Er flüchtete bereits 2014 in die Ukraine, weil er immer wieder mit den polnischen Gesetzen in Konflikt geraten war. In seiner Heimat müsste er eigentlich eine Haftstrafe von acht Jahren absitzen.

In der Ukraine selbst ist er wegen Raub und sexuellen Übergriffen bekannt, wurde 2016 für ein Jahr allerdings nur wegen Diebstahls verhaftet. 2021 sollte er erneut für sieben Jahre in Haft, diesmal wegen des Besitzes halbautomatischer Waffen. Weil er bei Kriegsbeginn der ukrainischen Armee beitrat, ließ das Gericht seinen Fall fallen. Ob er nun eine Führungsposition in der Internationalen Legion bekleiden darf, ist indes fraglich. Zwar ist es ukrainischen Staatsbürgern mit kriminellem Hintergrund per Gesetz erlaubt, der Armee beizutreten. Für Ausländer gibt es aber keine vergleichbare Regelung.

Vorbestraft oder nicht, in jedem Fall dürfen sie sich ohnehin nur in niedrigen Posten, etwa als Gefreite oder Unteroffiziere, verdingen. Höhere Posten sind den ukrainischen Kämpfern vorbehalten. Auch müssen alle Rekruten ein strenges Aufnahmeverfahren durchlaufen, bei dem ihre Herkunft genau geprüft wird. Warum das im Fall Kuchynsky nicht greift - fraglich.

Um auf die Missstände aufmerksam zu machen, haben sich einige Soldaten der Internationalen Legion zunächst an ihre Vorgesetzten, später an den Gesetzgeber und auch an Selenskyj persönlich gewandt. Doch die Behörden kümmern sich nicht. Und auch aus Kiew ernten die Soldaten für ihre Korruptionsvorwürfe politisches Schweigen. Viele sehen deshalb nur einen Ausweg: Den Dienst zu quittieren. Auch wenn das, nach Aussagen der Soldaten, einen massiven Verlust für die ukrainischen Streitkräfte bedeutet.


Quellen: "Kyiv Independent" | | | LBC | "The Economist" | |


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 10.04.2024 - 10:46